Routinen: Sichere Häfen in stürmischen Zeiten

11. June 2021 Off By Katja

Die letzten Monate waren für mich wie stürmische Zeiten auf hoher See. Mal befand ich mich auf der Welle und manchmal schon ein paar Minuten später im Wellental. Ich fühlte mich von meinen äußeren Umständen getrieben und wenig in der Lage, diese in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Je mehr Störfaktoren dazu kamen desto schwieriger und kräftezehrender wurde es. Meine mühsam aufgebauten Routinen waren schwerer und schwerer beizubehalten. Ich reagierte nur noch auf den Wind und die Wellen, die um mich tobten. Doch wann immer es mir gelang, zu meiner Routine zurückzukehren, wurde es einfacher und ruhiger. Ich hatte meinen sicheren Hafen erreicht. Meistens gelang es mir auch, eine lange Zeit dort zu verweilen und nicht wieder vom Wetter zu weit aus meinem Hafen gelockt oder sogar getrieben zu werden. Die Ankunft im Hafen – also bei meiner jeweiligen Routine – war so angenehm, dass ich mich zukünftig auf hoher See, wenn ein Sturm aufkam, frühzeitig an meinen Hafen erinnerte. Ich benötigte von Mal zu Mal weniger Energie, um zu meinem Hafen zurückzukehren. Das Wissen um meine bekannten Häfen – also die etablierten Routinen – und neue Häfen – also jene Gewohnheiten, die ich noch nicht so routiniert verinnerlicht habe – gaben mir die Sicherheit, die ich brauchte, den Sturm vorüberziehen zu lassen.

Ein Beispiel aus meinem Arbeitsleben

Letztes Jahr im März kam es sogar zu einem weltweiten Tsunami (japanisch wörtlich “Welle im Hafen”). Viele sichere Häfen – also Alltags- und Arbeitsroutinen – wurden überflutet, beschädigt oder sogar ganz zerstört. Einigen Menschen gelang es, ihre Häfen ganz alleine oder gemeinschaftlich wiederherzustellen. Andere Häfen wurden aufgegeben. Es entstanden auch viele neue Häfen. Wieder andere Häfen wurden renoviert oder umgestaltet. Mein Beispiel gehört in den Bereich Umgestaltung nach kurzer Überflutung.

Wir saßen bereits einige Tage oder sogar Wochen in unserem Hafen – hier ist das Büro gemeint – und trotzten dem Sturm – den Nachrichten rund um die Pandemie – schon eine ganze Weile. Doch dann kam der Tag, an dem uns der Sturm “Pandemie” aus unserem gemeinsamen Hafen “Büro” in unsere jeweiligen Häfen “Zuhause” gespült hatte. Da saßen wir nun mit unseren eigenen Navigations- und Funkgeräten einsam oder mit unseren Familien. Wir probierten die teilweise neue unbekannte Technik aus und funkten uns fortan täglich an, um uns miteinander zu verbinden. Doch die Kommunikation über Funk ist einfach eine andere als von Angesicht zu Angesicht. Auch konnten wir schlechter gemeinsam “auf Sicht fahren oder segeln”, da die Aussicht in jedem Hafen und auf jedem Boot eine ganz andere war.

Nun könnte man ja auf die Idee kommen, in einer ganz neuen Situation ganz neue Routinen zu benötigen, da sich ja das Umfeld so drastisch geändert hat. Doch das erste, das mir in den Kopf kam, war: “Solange es geht und sinnvoll ist, nutze gewohnte Routinen und Werkzeuge. Das wird uns etwas Sicherheit in dieser unsicheren und unbekannten Situation geben” Gesagt Gedacht – Getan!

Den Gedanken “unwichtige” – viel mehr nicht so dringliche – Termine abzusagen, habe ich gleich verworfen. Stattdessen schenkte ich meine Aufmerksamkeit besonders den Serientermine – also dem Herzschlag unserer Arbeitsroutine. Ich stellte fest, dass gar nicht so viel Neues benötigt wird, um diese Termine per Funk und Navigation zu gestalten. Vielmehr nutzte ich Werkzeuge aus anderen bekannten Kontexten, um ein Gewohnheitsgefühl zu erzeugen. So führten wir die ersten Retrospektiven zwar per Funk dafür aber mit dem bekannten Navigationswerkzeug “Trello” durch. Keiner unserer Termine wurde gestrichen, nur weil wir jetzt in unterschiedlichen Häfen arbeiteten. Sobald auch die anfänglichen Störungen in der Funk-Kommunikation behoben und einige neue Kommunikationsroutinen etabliert wurden, waren wir nach ein paar Wochen wieder vollständig im Fluss.

Das Beispiel zeigt, wie hilfreich etablierte Routinen sein können, um auch in ungewohnten und unvorhersehbaren Situation wie einer Pandemie handlungsfähig zu bleiben.

5 Tipps zum bewussten Einsatz eigener Routinen

  1. Kenne deine Vorlieben und Abneigungen.
  2. Pflege deine Gewohnheiten – besonders jene, die dir Wohlbefinden und Sicherheit geben.
  3. Endecke deine unbewussten Gewohnheiten z.B. mit Hilfe eines Kalenders oder Tagebuchs, in dem du deine Aktivitäten festhältst.
  4. Sammle Erfahrungen, indem du dir bekannte Routinen bewusst in einem neuen Kontext anwendest.
  5. Verwerfe alte Gewohnheiten, die dir nicht (mehr) gefallen oder weiterhelfen, und schaffe Platz für neue Gewohnheiten.